Neurodiversität in Unternehmen

Text:

Nadine Stelzer

Lektorat:

Ein Interview mit Katrin Suetterlin

Für unseren Podcast hat sich Sabine mit Katrin Suetterlin getroffen. Die Advokatin für Neurodiversität und -inklusion verkörpert UX im Unternehmen, als unermüdliche Publizistin bei LinkedIn und seit Neuestem als Gründungsmitglied des AK UX Writing Germany.

Was macht das Energiebündel so konsequent im Leben ihrer Werte, sogar außerhalb der Filterblase?

Sabine packt gemeinsam mit ihrem Gast das Paket „Katrin” aus und freut sich über neue Perspektiven und Inspiration zu Werten, kreativer Arbeit und Erfolg.

Besonders eindrucksvoll: Katrins Erfahrungsschatz in ihrer Nische „Neurodiversität und UX”.

Mit der Dreieinigkeit „Konzept, Informationsstruktur und Verständlichkeit” wirbt sie für mehr Verständnis, Zugang und Empathie. Als Schlüssel zur Inklusion nutzt sie ethisches und universell zugängliches Design.

Offenheit in der geschäftlichen Kommunikation ist unverzichtbar, wenn wir Neurodiversität in Unternehmen leben wollen

Wie begegnen wir den Menschen, die uns beauftragen oder mit denen wir arbeiten?

Hier spricht Katrin die Wichtigkeit unserer Transparenz von emotionalen und physischen Grenzen an. Sie stellt ihre positiven Erlebnisse im From-Scratch-Team und als Angestellte bei wefox den Erfahrungen in patriarchalisch geprägten Strukturen gegenüber.

Neu gedachte Bewerbungsprozesse für mehr Neurodiversität in Unternehmen

In ihrer Aufgabe als Senior UX Content Architect und Hiring Managerin tritt Katrin erfolgreich für mehr Unabhängigkeit nicht neurotypischer Menschen und deren Inklusion ein.

Sie erzählt uns, wie sie die zum Teil sehr komplexen Bewerbungsprozesse, aber auch die Eingliederung in Teams für viele Menschen weniger überfordernd und angstbesetzt gestaltet hat.

Das beherzigen auch wir und stellen unseren Podcast zusätzlich als schriftliche Version zur Verfügung: für alle diejenigen, die lieber und leichter lesen.

Viel Spaß also mit dem Transkript zur Sendung, der Folge auf YouTube (ohne Audiodeskription) oder bei Podigee (Audio und Transkript).

Links aus diesem Interview

Transkript zur Folge: Neurodiversität, UX und Werte am Arbeitsplatz: im Gespräch mit Katrin Suetterlin

Sabine: Hallo Katrin, voll cool, dass du da bist.

Katrin: Hallo Sabine! Freut mich sehr, da zu sein an diesem schönen heißen Sommertag bei uns beiden.

Sabine: Ja. Trotz der Entfernung scheinen wir mit der gleichen Wetterlage zu kämpfen heute.

Katrin: Genau.

Sabine: Wirklich ein bisschen zu kämpfen so, es läuft der Schweiß… Aber wir haben uns auch schon lange nicht mehr gesehen. Es ist also auch so ein Fest, dich mal wiederzusehen. Erzähl uns doch mal, Katrin, was du machst, wer du bist, und warum du heute da bist.

Katrin Suetterlins Weg zum wertorientierten UX-Writing

Katrin: Also erstmal könnten wir ja eigentlich den Aufhänger machen, dass ich die Katrin bin, die auch mal in deinem Kollektiv geschrieben hat.

Sabine: In der Tat.

Katrin: Und das ist ein guter Aufhänger, finde ich, weil das wirklich ein Fest ist, das ist ja auch schon fast anderthalb Jahre her. Ich hab zu mir selber als Person zu sagen, dass ich jetzt der 40 geworden bin, dieses Jahr so ein großer Meilenstein. Zum Geburtstag gab es COVID. Das war nicht so schön, also kurz danach. Der Geburtstag wurde gefeiert und kurz danach habe ich COVID gekriegt, hab auch Long Covid erwischt, das war hässlich, weil ich hab jetzt immer noch keinen Geschmackssinn und kein Geruch. Das gibt es jetzt aktuell zu mir zu sagen. Insgesamt ist das Jahr also so durchwachsen. Ich bin in meiner Kapazität bei dir angestellt gewesen oder hab mit dir zusammengearbeitet, weil damals hat das Kollektiv auf Freelancer-Weise beziehungsweise auf Auftragsarbeiten beruht. Was mir sehr viel Spaß gemacht hat, weil wir auch mit ganz unterschiedlichen Kunden und Kundinnen zusammengearbeitet haben.

In meiner Kapazität damals habe ich vor allem Copywriting und auch Conversion Copywriting für dich gemacht, bin aber eigentlich aus der UX-Writer-Riege. Ich hab damals mit dir zusammen UX Copy so mal gestreift. Dann habe ich versucht, in meinem restlichen Leben als Freelancerin mit meinem UX-Writing weiterzumachen, denn das hab ich jetzt vor ungefähr 6 Jahren angefangen.

Nicht nur Blabla und großes Marketinggeschwafel ohne viel dahinter

Ich roll jetzt mal das Feld von hinten auf: Ich bin ursprünglich Germanistin und Anglistin, hab noch einen Magister von der alten Schule, und habe über Umwege von Performance-Marketing, PR, Social-Media-Redaktion und eben dann bei dir das in eine Richtung gelenkt, wo man mit Metriken, KPIs, somit auch ein paar Zielen arbeitet, wo das hinführen soll, was man da macht, und nicht nur Blabla und großes Marketinggeschwafel ohne viel dahinter. Dann hab ich den Sprung geschafft, als Senior UX Writer bei Sapera, einer Consulting-Agentur in Berlin, anzufangen. Was ich auch gebraucht hab, weil ich einen stetigen Job brauche für mich und meine Katzen. Ich leb im Süden von Deutschland. Die Sabine und ich sind fest verbunden durch das Cat Lady/ Cat-Mom-Tum. Und sie hat auch noch Hunde, was ich auch irgendwann mal anstreb.

Katrins Weg zur finanziellen Sicherheit als wertorientierte UX Writerin

Sabine: Und wir haben beide Sphynx-Katzen!

Es liegt mir ganz gut, aus den Filterblasen und Echokammern ein bisschen rauszutreten, um in Gefilde zu gehen, von denen ich niemals gedacht hätte, dass ich diese betrete. Und dort ein bisschen so die Fackel hochzuhalten für manche Dinge.

Katrin: Das ist richtig! Adoptierte kleine Nackte. Die Nackten, die wir adoptiert haben und die auch nicht einfach sind, sind eine Herausforderung und deswegen hab ich damals gesagt, ok, ich brauch ein bisschen finanzielle Sicherheit, die hab ich mir auch geschaffen. Und ich habs geschafft, darüber heute meinen jetzigen Job auch zu erlangen.

Ich bin Senior UX Content Architektin bei Wefox Versicherungen in Berlin. Das ist ein sogenanntes Insurtech, wie man heutzutage sagt, also die Zusammenführung von alten Versicherungsstrukturen und neuen Startup- und Tech-Produktdesign-Strukturen. Auf meiner Seite ist das nicht immer ganz leicht, aber ich mach das mit sehr viel Inbrunst, weil ich finde — und das wird heute auch ein bisschen Thema sein — es liegt mir ganz gut, aus den Filterblasen und Echokammern ein bisschen rauszutreten, um in Gefilde zu gehen, von denen ich niemals gedacht hätte, dass ich diese betrete. Und dort ein bisschen so die Fackel hochzuhalten für manche Dinge. Deswegen sprechen wir auch heute miteinander. Aber die Frage, was ich mache, ist gleichzeitig, wofür ich stehe. Und gleichzeitig doch nicht, weil ich versuche, auch selbst treu zu bleiben und außerhalb der Arbeit für Dinge einzustehen wie ethisches Design, wie universell zugängliches, barrierefreies Design.

Ich versuche, in meinem kompletten Dasein ein bisschen für Verständnis für Zugang und für Empathie zu werben.

Ich mach das stark mit Worten, aber nicht nur. Deswegen auch „UX Content Architektin”, der Job-Titel ist kein Zufall. Das bedeutet, inzwischen mache ich nicht nur das strategische Konzept und schreibe, sondern bin dafür verantwortlich, wie wir Informationsarchitektur aufbauen. Das größte Ziel dabei ist, immer jeden Tag, was ich auch täglich an der Supermarktkasse oder mit dem Postboten oder sonstwo versuche, dass die Leute verstehen, was gesagt wird. Ob das jetzt aus meinem Mund kommt, aus dem Mund einer App, oder ob es von einee Produktstimme gesagt wird, oder ob das auf dem deutschen German UX Writing Meetup UX Writing auf Deutsch ist. Zusammen mit Barbara und Kathi mach ich das. Das ist so diese Dreieinigkeit, wo ich versuche, in meinem kompletten Dasein ein bisschen für Verständnis für Zugang und für Empathie zu werben.
 
Sabine: Wow. Das ist mal ein super Paket, was du hier geschnürt hast, wie du dich beschrieben hast, da war wirklich alles drin. Lass uns doch mal ein bisschen zusammen auspacken. Es ist toll, dass du auf unsere gemeinsame Vergangenheit hingewiesen hast. Ich erinnere mich noch, wir haben uns bei einem UX Meetup kennengelernt. Von Tech Circus oder so. Damals war ich auf der Suche nach textlicher Unterstützung  jemand, der:die sich mit UX- und Conversion-Prinzipien auskennt, also Verkaufstexte schreiben kann. Ja, und du und ich, wir kamen ins Gespräch und dann hast du gesagt: „Moment, meine vegane Pizza kommt gerade”, und ich dachte nur so…

Und dann haben wir über die Katzen gesprochen und so weiter. Aber ja, also seit ich dich kenne, stehst bei mir im Kopf für UX. Das haben wir gemeinsam. Durch dich bin ich auch an diese Buchstaben hinter mir im Bild gekommen, weil du much auf einen Wettbewerb aufmerksam gemacht hast, an dem ich Teil genommen und dann gewonnen hab. Also ja, Katrin und UX sind nicht voneinander zu trennen für mich. Und offensichtlich auch immer mehr für die Welt! Denn als wir am Anfang zusammengearbeitet haben, glaube ich, warst du wirklich noch am Erschaffen deiner Bekanntheitsnische, also da gab es UX Meetup auf Deutsch noch nicht. Dafür mach ich auch mal den Link in die Show Notes.

Katrin: Gerne.

Die Rolle von LinkedIn für Neuroinklusion in Unternehmen

Sabine: Ich glaub, du hast damals gerade erst so angefangen, auch wirklich viel zu publizieren zu dem Thema. Also wenn ich mir zum Beispiel dein LinkedIn angucke: Du schreibst und redest ja ununterbrochen auf sehr hohem, aber unheimlich leicht verständlichem Niveau auf Deutsch und Englisch über UX. Das heißt, wenn ich dir folge, kann ich ja schon unheimlich viel lernen. In dem Zusammenhang — was ich nämlich auch damals von dir gelernt habe, als wir zusammengearbeitet haben, das alles in dem Kontext von Neurodiversität. Das hast du ja auch schon erwähnt, dass das für dich ein Thema ist. Ja, und das fand ich auch sehr beeindruckend, als wir uns kennengelernt haben, wie offen du über diese Themen gesprochen hast und was für eine starke Advokatin du schon immer warst in diesem Kontext. Es war auch so ein bisschen so wie: Katrin sagt das, egal ob ihr das jetzt in dem Moment was bringt oder nicht.

Katrin: Ja.

Sabine: Das fand ich immer sehr beeindruckend. Dass du den Mut hast so ein Thema aufzugreifen, dafür einzustehen, weil es das Richtige ist und nicht unbedingt, weil es dir jetzt Blumen bringt.

Katrin: Clout Chasing! Ich hatte schon überlegt, wie die jungen Leute das nennen.

Sabine: Ich hab keine Ahnung.

Ihr glaubt, ich hab nen Redaktionsplan?! Ist ja witzig. Wenn ich einen Redaktionsplan hätte, würde mein LinkedIn nicht so aussehen, wie es aussieht.

Katrin: Genau und das ist das, was nämlich genau nicht passiert. Das ist so interessant. Ich will kurz einhaken und berichten, dass mich jemand vor ein, zwei Wochen oder so gefragt hat, wie mein Redaktionsplan aussieht für meinen LinkedIn-Profil. Und ich so: „Ihr glaubt, ich hab nen Redaktionsplan?! Ist ja witzig.”

Es ist natürlich wichtig, regelmäßig zu posten, vielleicht das Thema einheitlich zu halten, damit die Leute wissen, wofür du stehst. Es gibt ja viele tolle Menschen, denen man folgen kann, auch in Deutschland, zu Diversität und zum Beispiel Frauenrechten in der Arbeit, die nur das machen. Zum Beispiel LinkedIn-Voices. Davon gibt es genug. Wenn ich einen Redaktionsplan hätte, würde mein LinkedIn nicht so aussehen, wie es aussieht. Die Erkenntnis, dass ich das mach, weil ich denke, es ist das Richtige, merkt man auch an den Posts, die dann schlecht performen und immer noch da sind. Merkt man auch daran, dass ich schon auch drauf hin arbeite, witzige, impulsive Sachen zu machen. Weil, Witz ist für mich alles, was uns alle irgendwie am Leben hält, weil die Welt oft nicht zum Lachen ist und wenn man Galgenhumor hat, fällt jeder Tag ein bisschen einfacher.

Das klingt jetzt total verbittert. Vielleicht ist man über 40 nicht mehr ganz so blauäugig wie man früher war. Aber es ist nicht einfach und die Blumen nehme ich gern an. Also deine Blumen, aber die Clout brauch ich nicht. Aber wenn ich die Clout brauchen würde, dann würde ich alle meine Inhalte ins Xing duplizieren. Dann hätte ich noch einen Instagram Account. Der ist übrigens inaktiv! Niemand darf denn bitte für ernst nehmen, der ist geschlossen und ich komm nicht mehr ran. Ne Freundin hat neulich gesagt, du postest ja gar nichts mehr. Und ich so, erstens würde ich auf Instagram nix mehr posten. Das wäre mir auch zu stressig. Und zweitens gibt’s ihn gar nicht mehr.

Willst du wissen, warum ich nicht mehr rein komm? Ich rate euch nicht Facebook abzuschaffen, bevor ihr nicht aus Instagram rausgekommen seid, weil, manchmal muss man den Facebook-Account nutzen, um sein Konto zu aktivieren und wenn der nicht mehr existiert, existierst du quasi dort auch nicht mehr. Das war sehr interessant, so mal als kleine Erfahrung.

Sabine: Dass das legal ist, oder?

Katrin: Ganz brutal, und ich möchte mich jetzt nicht als voll unfähig outen, was das angeht. Aber es sind 4 Accounts, an die ich nicht mehr rankomm. Einer über UX Writing, einer über Veganismus, ein privater. Macht nichts, ich hab’s hinter mir gelassen. Wir halten auch noch Kontakt darüber, wir verstehen uns gut über unsere Tiere, und auch wenn wir jetzt eh schon bei Jubiläen und alles sind, es ist mein 16. Jahr Veganismus. Ich hab ich deinen Post gesehen, dass es immer zählt, dass man ein Stückchen macht, aber davon vielleicht ein großes Stückchen. Ich habe glaube fest an diese magische Verhältniszahl von „9 von 10”. Denn der Mensch ist ganz gut, ich hab das mal in einem Ernährungsbuch gelesen… Der Mensch ist ganz gut dafür gemacht, 90 % im Leben was durchzuhalten. Wenn es weniger ist, wird es schon schwer für ihn. Dann isst er doch wieder Süßigkeiten oder die Wurst oder was weiß ich. Aber Veganismus fällt mir leicht, weil es mir ethisch wichtig ist. Es würde mir als Diät oder als Ernährungsform sicherlich nicht leicht fallen, wenn es jetzt um Gesundheit geht. Das ist für mich nicht Ansporn genug. Empathie kommt daher für mich im Leben auch.

Neurodiversität: in deutschen Unternehmen stark unterrepräsentiert

Aber wie man natürlich merkt, bei ner Versicherung oder auch bei ner Consulting-Agentur oder sonst für andere Kunden kann man jetzt nicht immer für den Veganismus einstehen. Es reicht aber, wenn man selber vegan lebt, habe ich inzwischen kapiert. Mit 20 waren solche Ansichten wahrscheinlich noch anders. Aber ich meine generell Ethik und Empathie und „für was stehen”, was du gemeint hast, ist etwas, was meiner Meinung nach nur dann klappt, wenn du echt bleibst. Und wenn du einen Redaktionsplan hast: Was ist, wenn du jetzt grad nicht mehr kannst oder keine Lust darauf hast? Dann verlierst du ja diesen Clout-Mechanismus oder Algorithmus. Und dann ist es auch wieder blöd.

Um jetzt noch mal anzuknüpfen dann deine Frage: Obwohl ich die Nische nicht gesucht hab, ich hab sie gefunden und sie hat mich gefunden, diese Neurodiversität. Die in Deutschland noch total unterrepräsentiert ist. Das hat viel damit zu tun, dass es ein Spektrum ist.

Was ist Neurodiversität?

Ich sag es nochmal für die geneigte Zuschauerschaft: Der Begriff Neurodiversität bezeichnet Spektrum von Sachen, die nicht ganz neurotypisch sind. Jetzt sage ich nochmal ein Fremdwort: Das Gegenteil von neurotypisch ist neurodivers.

Beispiele für Neurodiversität

Wenn z. B.  Menschen auf einem Spektrum von Autismus sind. Oder wenn sie Tourette-Syndrom haben. Wenn Sie ADHS oder ADS — sagt man noch manchmal, ist ohne das Hyperaktive — haben, wenn sie zum Beispiel auch eine erlangte Neurodiversität haben, indem sie einen Unfall hatten und die Hirnfunktion eingeschränkt ist. Ich sag das jetzt so als großen Überbegriff. Es gibt noch viel mehr.

Warum ist Neurodiversität plötzlich ein Thema in deutschen Unternehmen?

Dass wir das in Deutschland anfassen, liegt meiner Meinung nach nur daran, dass wir über die Pandemie gelernt haben, mehr über Depressionen zu reden. Ich bin auch keine von den LinkedIn-Voices für die Depression an und Burnout am Arbeitsplatz. Das finde ich auch ein super wichtiges Thema, da reden aber auch schon zum Glück viele darüber. Das würde ich mir jetzt nicht auch noch auf dem Buckel schnallen. Das ist auch ein Tabuthema.

Akzeptieren, dass ein Mensch das Ganze ist und nicht nur das, was er als Arbeitskraft dahinschleppt

Und da kommen wir wieder zu dem, wie wir beide uns kennengelernt haben. In einem Verhältnis, in dem man offen miteinander reden kann. In diesem Retreat, den wir damals gemacht haben. Das war eins der schönsten Erlebnisse in meiner Arbeitswelt. Ich würde jetzt sagen, es ist nicht schwer. Das stimmt aber nicht, weil meine vergangenen Erlebnisse waren halt geprägt von entweder patriarchalischen Strukturen in Agenturen und Unternehmen, wo man keine Schwäche zeigen darf, wo der Mensch, dem der Fuß abgefallen ist, natürlich als krank gilt. Aber der Mensch, der Burnout hatte und und Krebs gekriegt hat, der blieb stigmatisiert. Da fragte sich jeder hinter vorgehaltener Hand: „Wo bleibt der und kommt der zurück?” Und das war vor 10 Jahren. Das hat sich bis heute nicht geändert, denn ich hab noch Freundschaften von damals mit Frauen, vor allem also nicht männlichen Menschen, die eben auch aus diesem System nicht so leicht rauskommen, wie ich das damals geschafft hab.

Als Geisteswissenschaftlerin war man halt auch unterrepräsentiert und macht eben PR, Social Media und „mal bisschen was schreiben”. Das ist halt auch so dahingesagt. In unserer Struktur, wie wir uns kennengelernt haben, war Offenheit OK. Denn wir konnten akzeptieren, dass ein Mensch das Ganze ist und nicht nur das, was er als Arbeitskraft dahinschleppt.

Sabine: Ja, ich würde sagen: Es war die die Basis für alles, ne. Das sehe ich auch nach wie vor so. Alles andere ist eine Illusion.

Katrin: Ja, genau, alles andere ist definitiv eine Illusion. Ich hab jetzt auch eine sehr, sehr tolle Vorgesetzte, die das auch lebt. Also wenn wir mal Kopfweh haben, wenn wir uns nicht so toll fühlen, müssen wir nicht im Weekly Meeting sitzen oder die Kamera anmachen oder was dazu sagen. Wir können auch asynchron in die Conference Page oder in unser Spreadsheet was reinschreiben, was diese Woche war oder was wir diese Woche machen.

Aber die Frage ist: Was kann ich hier verändern und besser machen und und anstreben?

Das überrascht mich sehr, denn die Startup-Welt, Versicherungen, das klingt für mich auch immer noch eher langweilig von außen. Aber auch vorher schon, dass Leute dafür Verständnis haben. Du musst halt den schmalen Grad gehen zwischen: Was ist ok und was ist ne Red Flag für deinen Arbeitgeber?

Und ich schäme mich nicht oder bin mir dazu nicht zu schade, zu sagen: „Also, heute geht es halt einfach nicht.” Und die anderen haben genau dasselbe Recht. Und ob man dann da als Arbeitgeber von ganz oben Konsequenzen zieht, das ist dann halt vielleicht der Fall irgendwann. Das kann ich nicht verhindern. Aber die Frage ist: Was kann ich hier verändern und besser machen und und anstreben? Weil, ich möchte niemandem verkaufen, dass ich nur, weil ich gern das und das und das gerne hätte — und auch dafür einstehe —, dass das immer funktioniert.

Denn was ich gelernt hab, seit wir uns dann verabschieden mussten, ist: Wenn man im Startup oder auch generell im Unternehmen derjenige oder diejenige ist, die für solche Themen, wie Inklusion, Diversität, Neuroinklusion, das ist was Spezielles, wo man zum Beispiel sagt: Ich bin Hiring Manager, also ich stelle Leute ein. Das mach ich schon das ganze letzte halbe Jahr für Wefox. Da habe ich einfach mal 3 Sachen eingebracht: Bitte lasst uns einen Step streichen. In meinem eigenen Interviewprozess waren das 5 und jetzt sind es noch 4.

Sabine: Cool.

Bewerbungsprozesse schließen neurodiverse Menschen oft aus — obwohl sie die Stelle prima besetzen würden

Katrin: Können wir das komprimieren für Menschen, die uns danach fragen? Und können wir gleich am Anfang anbieten — möchten die Leute vielleicht eher morgens, sind sie da besser drauf? Ja, dass sie die Availability so geben, wie es ihnen recht ist und nicht, dass man sie unter Druck setzt und sagt: „Aber der Hiring Manager, also die Katrin kann nur nachmittags, also es geht nicht anders, du musst da jetzt nachmittags auflaufen.” Dieses Recht hat ja eigentlich fast jeder/jede. Wenn man sich recht überlegt. Es wäre ja schön, wenn wir in allen unseren Stellenanzeigen drin hätten: „Möchtest du was an diesem Stellensuchprozess anpassen? Dann sag uns Bescheid!” Das traut sich ja niemand, wenn du es nicht rein schreibst. Das ist genauso wie, vielleicht ist dir oder auch der Zuschauer-/Zuhörer:innenschaft aufgefallen, da steht jetzt viel öfters drin: „Wie, du bist nicht für alles geeignet? Oder es passt nicht alles? Schreib uns trotzdem.” Weil sie gemerkt haben, also ich sag jetzt „sie” — Talent, oder wie man es nennen möchte, „People Acquisition” oder was weiß ich. Weil sie gemerkt haben, dass sie Leute ausschließen mit dem, was sie tun.

Sabine: Und gerade bei Frauen.

Warum Inklusion nicht nur eine Sache der Betroffenen sein darf: die Rolle von Allyship in Unternehmen

Es ist an uns, zu erkennen: Wo sind unsere Privilegien zwar da, aber haben wir trotzdem Einschränkungen, für die wir einstehen möchten, ohne uns dafür zu schämen? Und wo können wir für andere diesen Weg bereiten?

Katrin: Richtig. Und genau diese Menschen, die es eh schon schwer haben. Und jetzt kommen wir zum Ganzen zurück. LGBTQIA. Ich hab neulich eine Masterclass gemacht, da ging es um, weil ich hab meinen Auftritt gespendet an The Trevor Project. Jeder Mensch, der irgendwo marginalisiert wird, so wie die Gruppen, die wir grad genannt haben: z. B. Nicht-binäre, Frauen, und auch Menschen mit Behinderung. Ich sage jetzt mal ein Tüdelchen (malt Gänsefüßchen in die Luft), auch für die, die es nicht sehen. Dann bist du nochmal doppelt belastet. Das ist ja die sogenannte Intersektionalität, dass, wenn du was mit dir rumschleppst, zum Beispiel: Du bist zwar weiß und privilegiert, hier wir beide, in ihren gut situierten europäischen Ländern, wo es auch besser sein könnte, aber wir wollen ja nicht meckern.

Trotzdem ist es an uns schon auch zu erkennen: Wo sind unsere Privilegien zwar da, aber haben wir trotzdem Einschränkungen, für die wir einstehen möchten, ohne uns dafür zu schämen. Und wo können wir für andere diesen Weg bereiten? Denn wir müssen auch ein bisschen aufpassen, dass wir nicht ständig den White Savior Complex haben und sagen: Aber, aber und so weiter.

Um jetzt das Ganze, was ich hier ausführe, abzurunden. Jetzt gerade ganz neu: Mir ist aufgefallen, dass ganz oft dann auch Frauen, nichtbinäre Menschen, nichtmännliche Menschen, vor allem, wenn sie nicht repräsentiert werden in Vorständen und in Geschäftsführungen, dazu geeignet sind, aber auch danach gefragt werden, ob sie nicht die Lanze brechen wollen. Also ob sie nicht diejenigen sind, die jetzt hier zum Beispiel dafür sorgen, dass der Prozess optimiert wird oder ein Webinar. Ganz viele braune und schwarze Leute, gerade BIPOC in London oder in englischsprachigen Bereichen erzählen mir, dass zu ihnen die Chefs kommen und sagen: „Mach du doch mal ein Diversity, Equity und Inclusion-Seminar.” DEI heißt das im Englischen. Und die diese Microaggressions jeden Tag in ihrem Privatleben — und jetzt kommen wir zum ganz Abrunden dazu — jeden Tag erleben, wie ich vorhin meinte, an der Supermarktkasse oder sonstwie. Aggressionen, die gegen dich gerichtet sind, dann müssen sie in ihrem Job auch noch das Seminar leiten oder geben, anstatt dass der Mensch sagt: „OK, ich brauch einen Experten oder eine Expertin. Die suche ich von außen, die bezahl ich, dann mach ich was für alle.” Nein, ich nehm denjenigen, der eh schon ein bisschen schwer zu tragen hat.

Auf dem Weg zu unserem Podcast hab ich zufälligerweise in ner Playlist von Gossip „Heavy Cross” gehört. Das ist eines meiner All Time Favourites aus den 2000er-Jahren. Da krieg ich Gänsehaut, wenn ich jetzt da dran denk. Ich muss ja nicht sagen „I’m showing my age”, weil ich hab es auch schon gesagt. Aber das ist ein ganz toller Song. Wer ihn kennt, es ist super groovy, man kann tanzen, aber es geht halt schon darum, welche Last man trägt.

Es reicht nicht, innerhalb der eigenen Echokammer zu bleiben

Und das ist etwas, wo ich festgestellt hab, in meinen schon ausgetretenen Wegen und Bereichen, wo ich mich bewegt habe, Feminismus, Veganismus. Ideologien, die zu mir passen. Da mach ich ja eigentlich Preaching to the Choir. Ich erzähle den Leuten, die es auch schon wissen. Man darf nicht verharmlosen, dass in diesen Bereichen Leute sind, die dich ausnutzen oder eben auch versuchen, deine Marginalisierung sich selber zu Nutzen zu machen. Also, zum Beispiel sind viele Veganismusanführer dann doch wieder männlich oder viele feministische Sachen, da schleichen sich dann besonders toxische Menschen rein und man denkt so: „Der ist so toll! Der macht für uns hier was und so.” Da muss man ganz arg aufpassen.

Man hat vielleicht an einem Ort, wo man sich vorher nie wiedergefunden hätte, mehr Glück mit den Menschen. Ich hab jetzt ein überraschend tolles, diverses mega sweetes Team, was ich nie gedacht hätte, dass ich das da vorfinde. Aber die ganzen Hüllen… oder wie sagt man das, das Roulette des Lebens, das schmeißt dich halt irgendwo rein in so ein Kästchen. Also, natürlich triffst du die Entscheidung, aber vorher weißt du’s nicht. Da hast du manchmal von den Sachen, wo du dich wohlfühlen würdest, viel mehr als von dem, wo du denkst: „Oh, da fühle ich mich bestimmt unwohl.”

Sabine: Da sprichst du ja auch so ein bisschen so in die Richtung Purismus, was für mich immer so ein Stein des Anstoßes ist. Auf der einen Seite ist das wieder bequem, in der eigenen Bubble zu sein, aber oft nur in meiner Vorstellung, weil ich dann doch manchmal merke: Da ist so ein Wettbewerb, wer ist jetzt am heiligsten und am puristischen und am perfektesten? Und keiner gibt irgendwie zu, welche schwachen Moment es mal gibt oder die Zweifel und die Anstrengung, die dahintersteht oder so. Ich empfinde es oft als sehr befriedigenden Ausgleich, dann mit Leuten zu arbeiten, die das gar nicht anstreben, sich dieser Nische zuzuordnen, aber sagen: „Ich bin auf so einem Weg, ich möchte weg von da, wo ich jetzt bin.” Deswegen auch dieser Podcast. Eigentlich richtet er sich ja nicht vorrangig an Leute, die schon total öko sind und alles in ihrer kreativen Arbeit, sondern diese Aufbruchsstimmung. Da dann Leuten zu helfen, so ein Schrittchen weiter zu gehen, ist eigentlich das, wo für mich wirklich das Salz in der Suppe ist. Deswegen finde ich es auch dann schwierig zu sagen: Ja, aber ich will, wenn du freiberuflich arbeitest oder dir einen Job suchst, ich will nur mit Firmen arbeiten, die schon hundertprozentig da sind, wo ich hin will.

Katrin: Genau! Bitte nur Ökostrom und 1000 Bäume für XY gepflanzt. Sorry, dass ich reingrätsche, aber das ist wirklich das, wo ich früher vor 20 Jahren die ideologischen Vorstellungen hatte, wo ich dachte: „Das wird’s, und das mach ich, und dann wird das ganz toll.” Hab ich ja damals erzählt.

Das habe ich auch nach dem Studium und das möchte ich jetzt noch mal teilen, zum Beispiel ganz viel bei Stiftungen beworben. Der Nabu hat ausgeschrieben, irgendwelche Sachen, die mit Büchern und der Bildung für bildungsferne Menschen zu tun haben. Ja, ich wurde halt nicht genommen und meistens waren es auch unbezahlte Praktika. Weil die Leute ja kein Geld haben. Ich mache wieder Tüttelchen (macht mit den Fingern Gänsefüßchen in die Luft), weil, so wird das nach außen präsentiert. Ist das so? Ist die andere Frage. Bei NGOs muss man manchmal ganz schön mit den Ohren schlackern, wie viel die Leute da verdienen, die aber an bestimmten Posten sitzen. Gehst du aber zu irgendwelchen Filmfestivals, da zahlt sich niemand irgendwas aus und sie kommen gerade vielleicht auf Null raus und sie machen es für die Gemeinschaft oder so.

Warum greife ich jetzt in diese Töpfe? Weil ich denke: Hätte es mich damals dahin verschlagen, wüsste ich nicht, ob ich jemals Katzen hätte adoptieren und retten können und für sie da sein und teure Arztrechnungen bezahlen. Das ist auch etwas, wo ich glaube, dass man weiß, dass man einen Job braucht, um Geld zu verdienen und das muss halt vielleicht auch stetig reinkommen. Dann steigen die Mieten, dann steigt irgendwas, was du dir vielleicht auch sonst früher geleistet hast und jetzt nicht mehr. Wir leben halt im Kapitalismus.

Katrins Weg: Neuroinklusion vorantreiben, statt sich dem Druck des Arbeitsmarkts zu entziehen

Und das schlägt jetzt die Biege in das, wo wir beide uns befinden, denn wir könnten auch auf eine Insel ziehen. Sind wahrscheinlich alle schon voll diese Inseln, von denen man dann immer spricht, weil irgendwohin muss man ja auswandern. Könntest du alles machen! Ich folge zwei Youtubern, das ist ein Männerpaar und die wohnen mit ihren zwei Hunden im Geodome in Kanada irgendwo im Wald. Ja, aber die haben dafür auch Bäume abgeholzt. Sie haben dieses Stück Land auch kaufen müssen, also ist jetzt nicht so. Es ist off grid. Aber es ist jetzt nicht so, als sind sie ganz weg. Sie machen ja YouTube, um ihr Geld zu verdienen. YouTube macht Werbung. YouTube gehört zu Google. Usw usw. Es ist jetzt nicht so, dass die sich auf die Fahne schreiben, dass sie supertoll oder ethisch sind. Aber sie schreiben sich auf die Fahne, dass sie hier dem Kapitalismus ein bisschen entfliehen. Ich glaube nicht, dass wir das alles so gut können, wie wir hoffen, dass wir es könnten.

Und das ist jetzt nur meine Predigt dafür, dass eigentlich ein gesunder Mix zwischen „Ich mach das, wofür ich stehe und brenn und helf anderen, ob jetzt mit Nischen und UX Writing zum Beispiel da reinzukommen.” Und ich bin aber trotzdem in einem Job, bei dem ich auch was bewegen kann, vielleicht aber nicht hundert Prozent, vielleicht auch nicht 50, aber es passiert mal was.

Das Konzept des „Cultural Fit” schadet der Inklusion im Unternehmen — besonders beim Thema Neurodiversität

Hiring Manager macht auch nicht nur Spaß, das ist nicht schön, 30-40 Leute pro Woche abzulehnen. Nigeria ist Grad ein aufstrebender Markt. Indien. Wir haben andere Länder, andere Situationen, Iraner, Russen, Türken. Ich sage jetzt mal nur die Nationalitäten ohne das Gendern. Aber dass das Menschen sind, die in einer ganz anderen Lebensrealität leben und ich mir schon bewusst bin, dass sich da auch Lebensentscheidungen dahinter verbergen für diese Menschen, die hoch gebildet sind. Sie sind nur nicht hier. Sie möchten aber gern hierher. Und jedem, dem ich Nein sagen muss oder der ich Nein sagen muss. Und vor allem, wenn man mal gesprochen hat… Das ist schon auch nicht einfach. Ich will jetzt nicht, dass man mich bemitleidet, ich hab’s mir nur anders vorgestellt.

Ich habe es mir ein bisschen illusorisch vorgestellt. Ich dachte ne, ich mach da was Supertolles. Ich guck, wer da super geeignet ist. Ich schaff den Cultural Fit ab, das hab ich tatsächlich auch gemacht. Wir sprechen nur noch miteinander und wir machen nicht: „Uhm, passt du ins Team?” Weil, hier geht es ja nicht darum, ob du als Mensch ins Team passt. Weil, um jetzt mal noch ganz zurückzukommen zum Anfang — auch im Blick auf die Zeit und generell auf unsere Themen, die wir in so nem Scope bearbeiten können.

Wie Neurodiversität dem Cultural Fit in die Quere kommen kann: ein paar Beispiele

Ähm, neurodiverse Menschen, also zum Beispiel gerade autistische Züge können dazu führen, dass du nicht so viel und nicht so gerne in die Kamera guckst. Oder wenn du persönlich jemandem gegenüber sitzt, dass du nicht direkt in die Augen gucken möchtest und dass du ein bisschen rumkuckst.

Das kann 1000 Sachen für den anderen bedeuten:

  • Dass du abgelenkt bist oder gar nicht interessiert.
  • Du bist schüchtern.
  • Du wirst wahrscheinlich nicht so gut präsentieren können.
  • Du bist vielleicht in deiner Arbeit super toll, aber sie denken, irgendwas ist socially mit dir off.

Das ist eines der größten Probleme für Kinder, die mit Neurodiversität — wie zum Beispiel, ich hab Dyskalkulie, ich hab nen Artikel dazu geschrieben auf Medium, vielleicht verlinken wir mal Medium, da schreibe ich auch über Long Covid und wie ich versuche, mir mein Essen schön zu basteln. War jetzt auch nicht so leicht, wenn man nichts mehr schmeckt seit 3 Monaten, nee 4 Monaten oh Gott. Ich leide, ich leide, ich will Mitleid. Nein, Scherz, aber ich will ich will zumindest teilen, falls jemand das dann auch liest und davon betroffen ist.

Test-Aufgaben, Assessment Center und Trickfragen: schlecht für Neuroinklusion, für das Unternehmen — und auch für neurotypische Bewerber:innen

In einem anderen Artikel schreibe ich das auch: mit Zahlen nicht gut umgehen können, ja. Dann wirst du irgendwas gefragt. Ich habe gehört, dass man in manchen Interviews gefragt wird, dass es da so komische Rechenaufgaben oder irgendwelche Trickfragen. Sowas finde ich richtig blöd und Mist. Wir machen zum Beispiel gar keine Designtasks. Wir haben das nicht drin, weil das einfach nicht cool ist.

Du weißt nie:

  • Hat er einen schlechten Tag?
  • Hat sie ne schlechte Woche?
  • Ist es fair?
  • Ist das eine gute Task, um abzufragen, ob der Mensch mal toll performt?

Das kann man so nicht machen und das ist schon meine Freude und mein Stolz und einer meiner größten Erfolge.

Der Erfolg ist eigentlich eher: Was ist täglich zu schaffen? Also, habe ich am Ende des Tages das Gefühl, das war heute nur 9 von 10, dann ist schon richtig toll. Das heißt dann zum Beispiel, wenn diese Menschen mit einbezogen werden, dass man nicht mehr sagt, „Du passt ins Team” oder nicht. Sondern: Welche Fragen denken sich die anderen aus? Um festzustellen: Können wir cool miteinander arbeiten? Vor allem heutzutage, remote und auch asynchron kollaborativ. Und das ist etwas, wo ich jetzt auch quasi viel dazugelernt habe. Der Prozess ist cool, aber ich bin auch froh, wenn ich zum Beispiel nicht mehr hiren muss. Also wenn ich das nicht mehr machen muss, weil es für mich als Mensch, der sehr sensibel ist, schwierig ist, damit umzugehen, wenn ich ablehnen muss.

Fazit: Trau dich, mit deinen Werten selbstbewusst aufzutreten und auch mit deinen Bedürfnissen sichtbar zu sein

Sabine: Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Trotzdem muss ich auch sagen: Ich hätte mich sehr gefreut, dich als Hiring Managerin mir gegenüber sitzen zu haben als Bewerberin. Denn ich höre schon raus, dass du unheimlich viel positive Veränderung geschaffen hast und ein großes Bewusstsein. Du erlaubst deinen Kandidat:innen, mit Selbstbewusstsein aufzutreten dafür, wer sie sind. Und nicht nur, welche Plätzchenformen sie ausfüllen müssen wie ein unendlich dehnbarer Teig. Und das ist schon schon was Großes und das ist eigentlich auch — damit haben wir eigentlich voll die Botschaft erreicht, von der ich mir erhofft hatte, dass die heute in dieser Folge durchkommt, nämlich: „Auch wenn du nicht freiberuflich tätig bist als Kreative:r: Trau dich mit deinen Werten selbstbewusst aufzutreten und auch mit deinen Bedürfnissen sichtbar zu sein.” Es ist immer mehr ein Vorteil und immer weniger ein Nachteil, denn eine besondere Perspektive bringt auch besondere Erfahrungen und Skills mit, die andere nicht haben werden und die dich unersetzbar machen.

Katrin: Genau! Ich krieg schon wieder Gänsehaut. Das ist nicht nur so Phrasengedresche, sondern es ist tatsächlich etwas, wo mich positiv überrascht, wenn ich zum Beispiel weiß: Ja, wir gendern vielleicht nicht so, wie ich das vorschlage oder wie ich das gern hätte, oder vielleicht gendern wir auch gar nicht, weil zum Beispiel unsere Zielgruppe bei den Brokern fast nur Männer sind. Ich würde es trotzdem gern so machen und das werde ich bestimmt noch erreichen.

Aber manchmal braucht dieses Brötchenbacken halt auch länger. Also das ist echt so eine Sache. Die Brötchen sind jetzt vielleicht am Aufgehen und sie warten unterm Handtuch, aber sie sind halt noch nicht aus dem Ofen draußen und sind superknusprig und haben hier voll den Erfolg.

Inklusives Arbeiten: ein Prozess, der nie vollständig abgeschlossen sein wird

Danke, dass ich diese Hinter-den-Kulissen-Geschichte teilen durfte, denn die hört ja sonst auch niemand. Wenn ich das erzähle, dann ist es auch etwas, was ich mir selbst rausgesucht hab, weil mir das wichtig war. Dass wir ein inklusives Hiring machen und ich dafür einen Aufhänger hab, dass ich mal wieder dann was anderes weitermachen kann. Also die Arbeit ist ja nie vorbei an diesem inklusiven Arbeiten.

Sabine: So wie bei all unseren Themen. Es ist eine lebenslange Praxis und wird nie abgeschlossen sein. Ich kann nur sagen: Vielen Dank, dass du uns einen Einblick gegeben hast in deine Reise, in deine Arbeit und deine lebenslange Praxis. Ich hab wieder viel von dir gelernt heute. Wir bringen ganz viele Links zu weiterführenden Infos zu deiner Arbeit, deinen Standpunkten und wie man dich finden kann, in die Show Notes.

Katrin: Ja! Ein exklusives Highlight nur für dich habe ich noch aufgespart, für den absoluten Abschluss. Ich mache den Podcast an einem Freitagnachmittag mit dir, statt bei der Gründung des AK UX Writing dabei zu sein fürs German UPA. Aber ich werde trotzdem Gründungsmitglied sein, die zwei anderen Frauen treffen sich gerade und besprechen das alles, und ich werde trotzdem dafür sorgen, dass wir bei der German UPA, das sind die User Experience Professionals, das ist so ein Ableger aus Amerika. Da gibt es bisher kein UX Writing. Nicht als Rolle, nicht als Bereich. Wir haben exakt 3 Webinare, eines davon ist von mir. Und das wars! Ich bin trotzdem gerne Mitglied, aber derart AK Ethics, den lass ich hinter mir und mach ab jetzt AK UX Writing. Bei Ethik gibt’s genug tolle Leute und bei UX Writing brauchen wir noch ein paar.

Sabine: Herzlichen Glückwunsch! Danke, dass du mit mir sprichst, statt bei diesem wichtigen Gespräch dabei zu sein.

Katrin: Macht nichts!

Sabine: Wir stecken dazu den Link in die Show Notes. Hoffentlich findet ihr dadurch noch mehr Mitstreiter:innen, die auch Bock auf UX Writing haben und ihre Werte da mit einbringen wollen.

Katrin: Ja, würd mich freuen. Und ich würde mich freuen, wenn wir auch mal wieder quatschen.

Sabine: Allerdings! Dann vielen Dank nochmal und bis zum nächsten Mal!